Wie komplex sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Haben Ihre Klient*innen viele Problembaustellen? Stehen Sie vor unübersichtlichen Aufgabenbergen?

In meinen Seminaren und Trainings rund um das Thema Case Management geht es oft um die Frage, wie der Umgang mit komplexen Problemsituationen gestaltet werden kann. Viele meiner Teilnehmer*innen arbeiten mit Klient*innen, die vielfältige Probleme und Defizite haben. Sie sind beispielsweise seit langem arbeitslos, mit der Erziehung der Kinder überfordert (zumindest aus Sicht der Schule), haben psychische Erkrankungen und/oder befinden sich in einer finanziellen Notlage.

Der adäquate Umgang mit diesen komplexen Situationen ist eine der zentralen Herausforderungen in der Arbeit mit Menschen, ganz egal, ob es im Sozial-, Gesundheits- oder Bildungsbereich ist. Erschwerend kommt hinzu, dass das Versorgungssystem in Deutschland durch eine mehrfache Desintegration geprägt ist: Dass es sowohl im stationären als auch im sogenannten ambulanten Bereich unterschiedliche Kostenträger*innen und eine Vielzahl an Leistungsanbieter*innen gibt, macht es für Menschen, die in einer komplexen Problemsituation Hilfe benötigen oftmals schwierig, die*den richtige*n Ansprechpartner*in bzw. die verschiedenen zuständigen Organisationen zu finden. Denn in der Regel reicht eine Organisation nicht aus und mehrere professionelle Helfer*innen werden tätig.

Komplexität

Wie Sie dieser Komplexität in der Arbeit mit Menschen begegnen können, möchte ich Ihnen nun anhand von drei Tipps beschreiben:

  1. Gehen Sie systematisch vor. Denn eine Orientierung an Handlungskonzepten (wie  Case Management) bzw. an Prozessen kann Komplexität entzerren. Ein definierter Prozessablauf ist wie die Planung einer Rundreise: Bereits im Vorfeld sind die einzelnen Etappen festgelegt und Sie wissen genau, wo es langgehen wird. Die einzelnen Reiseabschnitte haben Sie aber noch nicht genau ausgearbeitet, sodass es genug Raum für eine flexible Gestaltung gibt. Auch wenn auf der Reise unvorhergesehene Dinge passieren, haben Sie so immer die Möglichkeit, jederzeit wieder ihre geplante Route aufnehmen zu können. Zu beachten ist jedoch, dass professionelle Unterstützer*innen Reisebegleiter*innen sind. Die  Klient*innen bestimmen z.B., in welchem Tempo es vorangeht und an welcher Stelle sie vielleicht noch eine Exkursion machen möchten.
  2. Arbeiten Sie strukturiert. Denn der Einsatz eines festen Sets an Instrumenten (z.B. zur Netzwerkanalyse) erleichtert die Arbeit und hilft, Sachverhalte zu ordnen. Nehmen wir beispielsweise eine Stärkenkarte, mit deren Hilfe erkundet wird, was für die Klient*innen wichtig ist und wo sie hinmöchten. Auf dieser Karte werden Charakterstärken und Fähigkeiten festgehalten. Auch Ressourcen werden eingetragen, z.B. welche Hilfsmittel (Auto, Computer usw.) und finanziellen und sonstige Mittel den Klient*innen zur Verfügung stehen (z.B. Wohnung, Einkommen und Versicherungen). Eine solche Stärken- und Ressourcenkarte ist hilfreich, um die Dinge, die zur Verfügung stehen, zusammenzutragen und um auch in Situationen, in denen die Probleme die Überhand gewinnen, einen Backup zu haben. Denn oftmals haben Menschen, die sich mit herausfordernden und ggf. als Überforderung empfundenen Problemen konfrontiert sehen, keinen guten Zugang zu ihren Stärken und Ressourcen.
  3. Setzen Sie einen Fokus auf Dinge, die funktionieren. Mit der Stärkenbrille liegt die Konzentration auf Charakterstärken, Fähigkeiten und Bedürfnissen von Menschen, und dieser lösungsorientierte Fokus hilft, der Komplexität gezielt zu begegnen. In der Arbeit mit Menschen geht eigentlich immer um das Erreichen der sogenannten Regenbogenqualität. Hierbei handelt es sich um ein Denkmodell, das auf dem Werte- und Entwicklungsquadrat von Schulz von Tuhn beruht (siehe dazu auch https://www.schulz-von-thun.de/die-modelle/das-werte-und-entwicklungsquadrat). Es besagt, dass es in der Arbeit mit Menschen immer sowohl um eine Würdigung von Problemen als auch um eine Erkundung von Stärken und Ressourcen geht. Wenn in einem defizitorientierten Versorgungsystemen der Fokus sowieso schon auf Problemen liegt, ist es daher sinnvoll, den Blick gezielt auf die Dinge zu setzen, die funktionieren.

Im Sinne der Stärkenperspektive ist es zudem hilfreich, wenn die Sozialarbeiter*innen bzw. Unterstützer*innen die eigenen Stärken gezielt einsetzen. Denn hierdurch fällt die Arbeit in der Regel leichter und es kann mehr Energie in die Zusammenarbeit fließen. Dabei gilt der Grundsatz der Stärkenarbeit: Verwende mehr Zeit darauf, Stärken zu entfalten, als darauf, Schwächen zu kompensieren.

Zum Schluss lässt sich zusammenfassen: Der Komplexität in der Arbeit mit Menschen lässt sich durch ein systematisches und stärkenorientiertes Vorgehen sinnvoll begegnen. Durch Verfahrenssicherheit lassen sich Freiräume für Stärkenarbeit schaffen und durch Stärkenarbeit entsteht Energie für Veränderungen.